Die Stadt als Muse
Jörg Extra über Oldtimer, Jazz-Legenden und den hypnotischen Sog von New York City.
Was ihn mit einem Anachronisten verbindet, ist sein Hang zur Subversion: Jörg Extras Bild-Botschaften bewegen sich gern mal gegen den Strom. Es gibt jedoch auch eine praktische Erklärung dafür, dass er seine Gemälde und Zeichnungen ohne Hilfsmittel von Hand auf die Fläche projiziert – und einen Grund, warum er dafür schon mal die New York Times oder den Figaro strapaziert. Der Künstler & Kosmopolit im Dialog!

Foto Jürgen Bindrim
Ein Auto ist nicht immer nur ein Auto – und der Mensch nicht das Maß aller Dinge. Besonders deutlich wird das, wenn man Ihre vielschichtigen Gemälde betrachtet, in denen Oldtimer zu Protagonisten werden. Was motiviert Sie, zuweilen die personenzentrierte Perspektive zu verlassen und Maschinen in den Mittelpunkt zu stellen?
An Oldtimern fasziniert mich neben ihren körperhaft anmutenden Formen und beeindruckenden Proportionen, dass sie das Lebensgefühl und den urbanen Flair einer anderen Ära reflektieren. Die Silhouetten der modernen Modelle erscheinen in der Relation oft seelenlos.
Gälte es kunsthistorische Referenzen zu benennen, fallen mir Entsprechungen aus Retro-Art, Modern Pop und Post-Impressionismus ein. In welchem Kontext steht Ihr Werk zur zeitgenössischen Malerei und bedürfen Ihre Arbeiten überhaupt einer Einordnung?
Die Freude am Unerwarteten bewirkt, dass mein Kunststil sich solchen Etikettierungen entzieht. Auch ist das Spektrum der von mir angewandten Techniken dafür zu breit gefächert.
Manche Bilder – wie z. B. Walk – don´t walk – sind sehr konfrontativ, fast wie ein optischer Schrei: Welche gesellschaftliche Intention verfolgen Sie dabei?
Dabei handelt es sich um eine Einladung zum Staunen – die Veränderung unserer Sehgewohnheiten. Denn manchmal bedarf es eines Innehaltens, um verborgene Schönheit zu entdecken oder die Dämonie unter dem Deckmantel des Alltäglichen zu demaskieren.
Schicht um Schicht und Pinselstrich für Pinselstrich: Bei der Herstellung Ihrer traditionell erschaffenen Gemälde verwenden Sie klassische Leinwände, echte Farben und keinerlei technische Verfahren. Sind Sie ein Anachronist, der aus der Zeit fällt?
Diese traditionsbewusste und sehr handwerkliche Vorgehensweise ermöglicht es mir, aus einer breiten Range von Techniken zu selektieren: von Tusche über Aquarell, Acryl oder Airbrush bis hin zu simplen Malstiften. Fakt ist: Auch das beste Grafik-Programm ist nicht in der Lage, die Präzision einer „echten“ Feder-Zeichnung zu ersetzen.
Wenn man bedenkt, dass Ihr Kunststil es gebietet, jeden Pinselstrich von Anfang an exakt auszutarieren: Wie viel gestalterischer Spielraum bleibt da noch bestehen?
Der Spielraum ist immens: Denn ein Bild wird von mir unzählige Male neu erfunden, bevor es das Licht der Öffentlichkeit erblickt und kann in jeder Schaffensphase abgewandelt werden. Mein Werk Walk – don´t walk! reflektiert dieses Prinzip: die losgelöste Perspektive, die es einzunehmen gilt, um eine unvoreingenommene Betrachtungsweise zu ermöglichen, frei vom Ballast verkrusteter Stereotype oder Erwartungshaltungen.
Um die räumliche Wirkung eines Autos erfassbar zu machen und damit Dimensionen, Proportionen und Linienführung später ein stimmiges Gesamtbild ergeben, gilt es gewisse geometrische Vorgaben zu beachten: Denkt man da interdisziplinär und ist als Künstler immer auch ein wenig Ingenieur, Illustrator und Grafikdesigner?
Solche Prozesse beginnen in allen Disziplinen mit einer Grundidee. Nach und nach kristallisiert sich die eigentliche Vision heraus. Den Rahmen liefert dafür bei der Stilisierung von Automobilen ein Zusammenspiel aller geometrischen Vorgaben wie Breite, Länge oder Höhe, um die räumliche Wirkung eines Autos visuell erfassbar zu machen. Spannend ist der Moment, wenn über die Neuinterpretation der Wirklichkeit nachgedacht wird. Oder wenn diese Verfremdung sich unter der Einwirkung von Inspiration unvermutet einschleicht – nichts ist plötzlich mehr, was es scheint oder vorher war. Und genau das finde ich als Engine-Artist wunderbar!
Und doch geht es ihnen offenkundig weniger darum, ein täuschend echtes Vorbild zu erschaffen, wie die Verfremdungseffekte ahnen lassen. Welche künstlerische Absicht verbirgt sich hinter diesem sanften Shift ins Surreale?
Der schöpferische Aspekt reizt mich, die Chance, das Reale um eine neue Facette zu bereichern – und sei es nur unter dem Kaleidoskop des Kunstschaffenden.
Zurück zum Homo sapiens: Wenn Sie weibliche Rückenansichten malen, erscheinen sie erotisch und entrückt zugleich, ein subtiles Spiel zwischen Nähe und Distanz. Hat man als Künstler voyeuristisch zu agieren, um den Blick zu bannen?
Nicht im Wortsinn, aber auf einer höheren Bedeutungsebene: Einen „voyeuristischen“ – und damit impressionistischen – Reiz bieten Bilder, die ungekünstelt statt gestellt sind. Die Modelle wurden in einem Moment eingefangen, der nicht unbedingt für das Auge des Betrachters bestimmt war. Das ist authentisch und offenbart oftmals ganz neue Aspekte einer Person!
Ihre Jazz-Reihe involviert, weil die zu Typen reduzierten Musiker Rätsel aufgeben: Verraten Sie uns, welche Jazz-Legenden sich dahinter verbergen?
Inspiriert haben mich nicht nur internationale Legenden, sondern auch solche, die es einmal werden könnten wie die „Local Heros“ aus dem Jazzorama! in Köln.
Glauben Sie, dass der emotionale Impact, den Bilder erzeugen, verlorengehen kann, wenn Rezensenten deren Botschaft intellektualisieren?
Die Wirkung eines Bildes sollte der subjektiven Empfindung des Betrachters überlassen sein. Bei Interesse gewähre ich jedoch gern Einblick in meine Gedankenwelt. Wie es jetzt gerade auch geschieht!
Im Spannungsfeld von Emotion und Kontemplation kristallisiert sich zuweilen auch das Außergewöhnliche, zeitlos Erhabene einer New Yorker Skyline heraus. Was verleitet Sie zu dem seismografischen Blick über den großen Teich?
New York ist seit der Jahrtausendwende eines meiner Sujets und inspiriert mich immer wieder neu. The Big Apple ist nicht nur ein Schmelztiegel der Mentalitäten, sondern beinhaltet auch ein Glücksversprechen: „If you can make it there, you´ll make it anywhere!“
Nicht nur gestalterisch bieten Metropolen wie New York oder Paris die Blaupause, sondern auch haptisch: Auf den zweiten Blick erkennt der Betrachter, dass Magazine wie die New York Times oder der Figaro als Fond dienten, die Headlines scheinen durch …
Touché: Das ist Teil meiner Signatur und fungiert als Markenzeichen für Jäger & Kunstsammler im Revier der Oldtimer-Malerei – „with a Twinkle in the Eye“!
Interview: DR. C. ROOSEN